Im Jahr 1933 lebten mehr als 500.000 Juden in Deutschland. Die meisten von ihnen waren tief im Deutschtum verwurzelt. Der Vater von Ilse-Lore Wolf und der Vater von Gabi Schutz gehörten zu den 100.000 Juden, die während des Ersten Weltkrieges in der deutschen Armee gedient hatten.
Am 30. Januar 1933 ergriffen die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland. Am 23. März 1933 wurde mit dem „Ermächtigungsgesetz“ das Parlament ausgeschaltet und am 1. April beschloss die NS-Führung die Durchführung eines Wirtschaftsboykotts gegen die Juden.
Schon zwei Monate nach der nationalsozialistischen Machtübernahme begannen die Nationalsozialisten mit der Gleichschaltung des öffentlichen Diensts. Der „Arierparagraph“ (arisch: zur pseudowissenschaftlich konstruierten Rasse der Arier gehörig) verbot die Beschäftigung von Nichtariern und wurde von fast allen Organisationen, Verbänden und berufsständischen Vereinigungen übernommen.
Die Nürnberger Gesetze wurden im September 1935 im Einklang mit der NS-Rassenideologie erlassen und dienten als Legitimationsgrundlage für die systematische Judendiskriminierung und -verfolgung.
Bis 1938 waren aufgrund der sich immer weiter verschärfenden Diskriminierung, Entrechtung und Ausgrenzung bereits 130.000 Juden aus Deutschland ausgewandert.
Im Frühjahr 1938 wurden die Juden gezwungen, ihre Vermögensverhältnisse offenzulegen, und es begann die „Arisierung“ genannte erzwungene Enteignung jüdischen Besitzes. Die gesellschaftliche Absonderung der Juden und ihre Verdrängung aus der Wirtschaft eskalierte.
Shulamit Korati wurde 1923 in Berlin geboren. Ihre Leidenschaft galt dem Berliner Zoo, besonders den Affen. Als ihr Vater seine Arbeit als Anwalt verlor, beschloss er noch 1933, mit seiner Familie nach Palästina auszuwandern. Shulamit Korati
Ilse-Lore Wolf, geb. Danzinger, wurde 1922 in Schlesien geboren. Ilse-Lores unbeschwerte Kindheit als Arzttochter endete, als sich ihre Freundinnen von ihr distanzierten und sie nicht mehr von der Nachbarsfamilie eingeladen wurde. Im Reitstall sagte man ihr, dass ihr Pferd „arisch“ sei und sie nicht mehr kommen solle. Ilse-Lores Vater verlor den Doktortitel und durfte keine Nichtjuden mehr behandeln. Der Gedanke an Ausreise stand im Raum, doch der Vater war der Meinung, dass die seit Jahrhunderten in Schlesien ansässige Familie nirgendwo hingehen könne.
Gertrud Klimowski wurde 1923 als Gertrud Jakobson geboren. Ihr Onkel mütterlicherseits war der Kaufmann Salman Schocken; ihr Vater war Geschäftsführer der 13. Niederlassung der Schocken-Warenhauskette in Nürnberg. Die Familie lebte in einer Villa unweit des Tiergartens, die sie im April 1933 gezwungen war zu verlassen.
Gertrud Klimowski.
Gertruds Familie floh ins entfernte Hamburg, wo die antisemitischen Auswüchse noch hinter denen der Nazihochburg Nürnberg zurückstanden, und zog von dort nach Freiberg in Sachsen und bald wieder zurück nach Hamburg. 1937 wanderte die Familie Jakobson nach Palästina aus. Die Erinnerungen an die Judendiskriminierung verfolgten Gertrud bis ins hohe Alter.
Extra
Ernest Stock wurde 1924 in eine jüdische Familie in Frankfurt geboren. Sein Vater kämpfte im Ersten Weltkrieg an beiden Fronten für Deutschland. Nach der Machtergreifung der Nazis schlossen sich viele Freunde von Ernest der Hitlerjugend an und begannen, sich von ihm fernzuhalten. Auf der Straße gab es Fackelumzüge, bei denen gerufen wurde: „Wenn’s Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s noch mal so gut.“
Inge Stern wuchs in Glogau auf. Die Juden, so erzählte sie, wurden mehr und mehr zu Freiwild in der Provinz, weshalb ihre Familie 1934 nach Berlin zog. Nachdem die Mutter von Inge Stern „Mein Kampf“ gelesen hatte, drängte sie immer stärker auf die Flucht nach Südafrika. Dort hatte eine Tante von Inge ein Bekleidungsgeschäft, doch der Vater konnte sich lange nicht zu dieser Entscheidung durchringen.
Inge Stern
Als die Familie schließlich auswandern wollte, hatte Südafrika seine Tore für Juden bereits geschlossen.
Ende Oktober 1938 ließ das NS-Regime rund 17.000 im Deutschen Reich lebende Juden mit polnischer Staatsbürgerschaft verhaften und gewaltsam zur polnischen Grenze abschieben. Diese „Polenaktion“ genannte Deportation betraf auch die Familie der 1929 als Berti Bukspan geborenen Batya Schutz.
Batya Schutz
In der Nacht vom 9. auf den 10. November kam es in Deutschland zu einem vom NS-Regime gelenkten Pogrom. Die Annahme vieler Juden, die Nazis würden sich im vermeintlich zivilisierten Deutschland nicht an der Macht festsetzen können, erwies sich als fataler Trugschluss. Ihr Verstand hatte sich lange gegen die Vorstellung eines staatlich gelenkten Pogroms im vermeintlich zivilisierten Deutschland gesperrt. 30.000 Juden wurden im Zuge dieser Ausschreitungen in die Konzentrationslager verschleppt und dort körperlich misshandelt und gedemütigt.
Ilse-Lore erlebte die Pogromnacht bei einer Schwester ihres Vaters, deren Töchter bereits nach Palästina ausgewandert waren. Gegen drei Uhr morgens wurde die Tür mit Eisenstangen aufgebrochen. Die Nazis zertrümmerten die Wohnungseinrichtung mit einer Axt. Ilse-Lore und ihre Tante wurden abgeführt und mit anderen Juden in einem Pferdestall festgehalten. Die Synagoge der Stadt stand in Flammen. Die Männer wurden zunächst auf den Hof der jüdischen Schule gebracht und anschließend nach Buchenwald deportiert. Nach Tagen bekam Ilse-Lores Mutter einen Anruf, dass ihr Vater abgeholt werden könne. Ilse-Lore machte sich auf und traf einen fremden Mann, der ihr Vater war. Ein Mann in furchtbarem Zustand, ohne Haare, ungewaschen und in den Kleidern anderer Leute.
Ilse-Lore Wolf