Im Januar 1933 waren mehr als 500.000 Juden in Deutschland zu Hause. Noch im selben Jahr wanderten ca. 7200 Juden aus Deutschland nach Palästina aus, und auch in den Folgejahren blieb die Auswanderung auf diesem hohen Niveau. Zum Vergleich: Zwischen 1919 und 1932 waren nur ca. 2000 Juden aus Deutschland nach Palästina emigriert.
1936 entwickelte sich aus einem arabischen Generalstreik gegen die jüdische Einwanderung der drei Jahre andauernde „große arabische Aufstand“. Die britische Mandatsmacht reagierte darauf mit Einreiserestriktionen („Weißbuch-Politik“) und reglementierte ab 1937 die Einwanderung von Arbeitern, während die Einwanderung gegen Nachweis von Eigenkapital zunächst uneingeschränkt möglich blieb.
Um nach Palästina einzuwandern, benötigte man ein Zertifikat der britischen Mandatsregierung. Diese Zertifikate wurden im Rahmen einer Quotenregelung vergeben, die sich am Vermögen oder an der beruflichen Eignung der Bewerber orientierte. Die Verfolgung der deutschen Juden ist im Zertifizierungssystem der Behörden nicht vorgesehen. Wer Geld hatte, konnte ein „Kapitalistenzertifikat“ erwerben, für das ein Mindestkapital von 1000 Pfund aufzubringen war, andere mussten auf die Zuteilung eines Arbeiterzertifikats hoffen oder Angehörige vorweisen können.
Nach der Reichspogromnacht gelang es noch 120.000 Juden, aus Deutschland zu fliehen. Neben anderen Schikanen kamen zur Reichsfluchtsteuer „Sühneabgaben“ hinzu, mit denen die Juden die bei den Pogromen entstandenen Schäden begleichen mussten. 1939 erlitten die Juden bei Veräußerungen durch Steuern und Gebühren einen Verlust von 96 Prozent ihres Besitzes. Der Zugriff zu Geld und Wertpapieren wurde ihnen verwehrt. Auch ehemals vermögende Familien hatten jetzt Probleme, das Eigenkapital für ein „Kapitalistenzertifikat“ für Palästina aufzubringen.
Nach der Machtergreifung der Nazis rückte die Hachschara in den Fokus der zionistischen Jugendbewegungen Europas, die Jugendlichen gruppenweise die Ausreise ermöglichte. Hachschara bedeutet „Tauglichmachung“, also die Vorbereitung auf ein Arbeitsleben in Palästina, die in der Regel in Ausbildungslagern für landwirtschaftliche und handwerkliche Berufe erfolgte. Am Ende der eineinhalb bis drei Jahre dauernden Ausbildung erstanden die Absolventen ein Zertifikat, das zur Einreise nach Palästina und zur Aufnahme in eine landwirtschaftliche Kollektivsiedlung (Kibbuz) berechtigte.
Am 30. Januar 1933 gründete Recha Freier in Berlin die Kinder- und Jugend-Aliyah mit dem Ziel, jüdische Kinder vor der zunehmenden Bedrohung durch das NS-Regime zu retten. Nach einer kürzeren Tauglichmachung wurden Jugendliche in die landwirtschaftlichen Kollektivsiedlungen und die dafür errichteten Jugenddörfer nach Palästina geschickt, wo sie die Möglichkeit bekamen, eine Ausbildung zu absolvieren. Die Kinder- und Jugend-Aliyah bekam dafür Zertifikate der Kategorie „Schüler, deren Lebensunterhalt bis zur Berufsausbildung gesichert ist“ zugeteilt.
Ahron Getzow aus Köln kam mit der Jugend-Aliyah nach Palästina, nachdem er einen dreimonatigen Vorbereitungskurs auf einem Bauernhof nahe Köln absolviert hatte. Mit einer Gruppe von 52 anderen Jugendlichen gelangte er in das Kibbuz HaYeled HaShachar. Nicht wenige in der Gruppe bekamen einen ersten Schock, als sie um fünf Uhr morgens für die Arbeit aufstehen mussten, erzählt Ahron Getzow.
Die in Wien geborene und in der Tschechoslowakei aufgewachsene Nomi Gottheiner kam 1939 mit der Jugend-Aliyah nach Palästina. Extra. Ihre Eltern waren in Theresienstadt interniert und wurden von dort nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Auch der Mann von Gertrud kam mit der Jugend-Aliyah nach Palästina. Gertrud Klimowski
Im März 1938 kehrte der 1923 geborene Gabi Schutz mit seiner Mutter Deutschland den Rücken und floh über Triest nach Palästina. Zu ihrem Glück hatte Gabis früh verstorbener Vater die Mutter noch auf dem Totenbett gebeten, nicht mehr an der Börse zu spekulieren. Dadurch waren sie dem Börsencrash 1929 entkommen und konnten sich die Flucht nach Palästina leisten.
Gabi Schutz
Yair Noam wurde als Manfred Nomburg in Coburg geboren. Im Alter von sechs Jahren zog er mit seiner Familie nach Berlin. Hier begriffen seine Eltern schon sehr bald, dass Juden in Deutschland keine Zukunft haben. Extra. Mithilfe eines Onkels in Haifa gelang es den Eltern, ein Zertifikat für ihn zu erwerben, und Yair floh 1938 nach Palästina. Extra Seinen Eltern Georg und Charlotte gelang die Flucht nicht mehr. 1941 wurden sie aus Berlin deportiert.
Nachdem ihr Vater aus Buchenwald freigekommen war, kratzte die Familie von Ilse-Lore Wolf ihr letztes Geld und das der Verwandten zusammen und floh. Auch der Onkel von Inge Stern verschuldete sich hoch, um ihrer Familie im Mai 1939 die Ausreise nach Palästina zu ermöglichen.
Die Reichspogromnacht traf auch die Familie von Ze’ev Hirschberg schwer. Das Wein-und-Zigarren-Geschäft seines jüdischen Vaters, mit dem dieser sich selbstständig gemacht hatte, nachdem er 1933 seine Anstellung bei der AEG verloren hatte, wurde zerstört. Obwohl die Mutter christlichen Glaubens war, wurde den Eltern nahegelegt, ihren Sohn nach Palästina in Sicherheit zu bringen, und sie schickten ihn auf das Auswandererlehrgut bei Schniebinchen (heute Polen). Ze’ev bekam nach der Tauglichmachung Ende 1939 ein Zertifikat der Jugend-Aliyah ausgestellt und schaffte es noch im April 1940, nach Palästina auszuwandern. Ze'ev Hirschberg
Mit Beginn der Link „Polenaktion“ war der Vater von Ernest Stock fest entschlossen, zu fliehen.
Batya Schutz
Doch schon in der Reichspogromnacht am 9. November wird er nach Buchenwald deportiert. Wenige Tage später gibt die Mutter Ernest gemeinsam mit der zehnjährigen Schwester in ein Waisenhaus, da dieses ins Elsass evakuiert werden sollte und die Familie dort Freunde hatte. In besonderer Erinnerung bleibt Ernest die Freiheit, in der die Juden Frankreichs lebten, und die Selbstverständlichkeit, mit der sie gleichermaßen Juden und Franzosen waren. Als die vermeintlichen Frontregionen des sich abzeichnenden Krieges evakuiert werden, gelingt es Ernest, mit seiner Schwester nach Vaucresson überzusiedeln.
In Vaucresson bemüht sich Ernest um ein Einreisevisum für die Vereinigten Staaten sowie um die Finanzierung der Überfahrt durch einen Hilfsverein für jüdische Migration. In seinem Tagebuch schildert der früh zur Verantwortung gezwungene Junge die Hoffnung wie die Verzweiflung dieser Zeit. Als er das Visum endlich bekommt, hatten die Deutschen Frankreich bereits angegriffen. Ernest und seine Schwester flüchten über Clermont-Ferrand nach Bordeaux, wo ein Schiff in die Vereinigten Staaten fahren soll. Dieses fährt jedoch nicht mehr und es beginnt ein Wettlauf ums Überleben durch Frankreich und Spanien.
Arie Erez wurde als Louis Holzmann im zweiten Bezirk Wiens geboren. 1938 wurde er mit 14 Jahren Zeuge des Anschlusses Österreichs ans Deutsche Reich und später der Pogromnacht. Seine Mutter nahm ihre gesamten Ersparnisse in die Hand, um den Jungen einer 120-köpfigen Gruppe der Jugend-Aliyah anzuschließen. Arie durchlief eine Tauglichmachung und wurde anschließend mit der Gruppe Teil eines illegalen Transports über die Donau. Der Transport zählte bei Abfahrt im November 1939 mehr als 1000 Flüchtlinge. Doch als Rumänien sich weigerte, die Flüchtlinge ins Land zu lassen, wurden sie im Hafen der jugoslawischen Grenzstadt Kladovo festgesetzt. Im September 1940 wurden die Flüchtlinge auf einem Kohlenschlepper rund 300 Kilometer stromaufwärts nach Sabac nahe Belgrad geschickt. Erst im März 1941, zwei Wochen vor dem Einmarsch der Wehrmacht in Jugoslawien, gelangten rund 200 Flüchtlinge an Einreisezertifikate für Palästina. Unter ihnen auch die 120 Jugendlichen, die in kleineren Gruppen mit Zügen via Griechenland, Istanbul und Aleppo weiter nach Beirut und von dort nach Palästina reisten. Die zurückbleibenden Flüchtlinge des Kladovo-Transports wurden im April 1941 von den Deutschen eingeholt und ermordet.